Führen in der hybriden Arbeitswelt: Sich in die Lage des anderen versetzen

Was macht eine gute Führung in einer hybriden Arbeitswelt aus? Die Antwort ist zweigeteilt. Zum einen braucht es die Beschäftigung mit sich selbst. Mehr hierzu finden Sie in meinem Blog. Zum anderen braucht es die Fähigkeit, sich in die Lage des anderen versetzen zu können. Eine hohe Kunst, der wir uns widmen wollen.

In meiner klärungsorientierten Therapieausbildung bei Professor Dr. Rainer Sachse habe ich ein Modell kennengelernt, was ich in meinen Coachings gerne einsetze – und welches eine gute Handreichung ist, die Bedürfnisse meines Gegenübers kennenzulernen. Sachse nennt es die sechs Beziehungsmotive. 

Was steckt hinter den Motiven?

Die Beziehungsmotive nach Sachse beziehen sich auf grundlegende Bedürfnisse und Motive, die das zwischenmenschliche Verhalten prägen. Ziel ist es, das Verständnis für die eigenen emotionalen Bedürfnisse und das Verhalten in Beziehungen zu verbessern. Sie helfen, die Ursachen für bestimmte Verhaltensmuster zu erkennen und bieten Ansätze für die psychotherapeutische Arbeit, um die zwischenmenschlichen Beziehungen und das emotionale Wohlbefinden zu verbessern.

Die sechs Motive lauten:

  • Anerkennung
  • Wichtigkeit 
  • Solidarität
  • Verlässlichkeit
  • Autonomie
  • Grenzen

Um eine gute Beziehung zu gestalten, lernen Führungskräfte zunächst die Motive kennen. Diese hat jeder. Sie sind also generell – und je nach Erfahrungen, die man im Leben gemacht hat, sehnen sie sich interindividuell unterschiedlich nach Befriedigung. Ist ein Motiv unbefriedigt, liegt es in der Hand der Führungskraft, dies zu ändern. Wir sprechen von einer komplementären Beziehungsgestaltung, wenn die Menschen aktiv und empathisch die Bedürfnisse und Wünsche des anderen berücksichtigen und ihr Verhalten und ihre Worte entsprechend danach ausrichten.

Wie finde ich das heraus? Beobachten, beobachten, beobachten. Eine Führungskraft braucht die Gabe wahrnehmen zu können, worauf der Mitarbeitende wie reagiert. Oft tun wir das nur unbewusst – ab jetzt sollten wir das bewusst tun.

Jemand, der nach Anerkennung strebt, strebt nach Wertschätzung, Lob und positivem Feedback. Er möchte eine wichtige Rolle spielen oder einen gehobenen Status haben – eben von Bedeutung sein. Führungskräften wird empfohlen, diesen Mitarbeitern positives Feedback zu geben und Kritik möglichst sanft zu verpacken, als trojanisches Pferd. Man verpackt Kritik so, dass die andere Person noch besser werden könnte, wenn sie XY tut.

Die Wichtigkeit hängt mit der Anerkennung zusammen. Bei der Wichtigkeit geht es um das eigene Ich. Es geht um die Bedeutung der Person – weniger um die Bedeutung der Leistung. Komplimente befriedigen in vielen Fällen das Wichtigkeitsmotiv. Man möchte Signale bekommen, dass man im Leben einer anderen Person eine wichtige Rolle spielt. Komplimente machen ist eine Form davon. Aber Vorsicht: Komplimente machen am Arbeitsplatz ist wie Topfschlagen im Tretminenfeld. Zu schnell ist der Vorwurf der sexuellen Belästigung gemacht. In meinen Coachings berichten männliche Führungskräfte, dass sie Mitarbeiterinnen keine Komplimente mehr machen. Ein Thema, was in der Unternehmenskultur definiert werden sollte.

Menschen mit einem ausgeprägten Solidaritätsmotiv brauchen Unterstützung. Sie wollen Hilfe und das Gefühl haben, nicht alleine zu sein – vor allem in schwierigen Situationen. Vielen fällt es schwer, um Hilfe und Unterstützung zu bitten. Daraus könnte eine Schwäche abgeleitet werden. Führungskräfte sollten die Bitten ernst nehmen und Unterstützung leisten. 

Menschen mit einem ausgeprägten Motiv der Verlässlichkeit wollen sich auf Worte und Taten verlassen können. Die Verlässlichkeit ist eng mit der Solidarität verbunden. Prozesse kommunizieren, transparent sein, an der Seite sein – das sind Handlungsempfehlungen für Führungskräfte, wenn Mitarbeitende Solidarität brauchen. 

Ich stelle fest, dass das Motiv Autonomie bei vielen Führungskräften stark ausgeprägt ist. Strebt ein Mitarbeitender danach, will er/sie frei entscheiden können. Sie brauchen das Gefühl der Freiheit, auch um Prozesse zu gestalten. Statt Empfehlungen auszusprechen, beziehe ich diese Mitarbeitenden in die Entscheidungsfindung ein. 

Das sechste Motiv bezieht sich auf Grenzen. Grenzen und Autonomie hängen meist zusammen. Diese Menschen brauchen die Akzeptanz ihrer persönlich gesetzten Grenzen. Sonst kommt schnell das Gefühl auf, die eigenen Grenzen würden mit Füßen getreten. 

Hier müssen Führungskräfte die Grenzen wahrnehmen – aber auch erklären, wenn diese in bestimmten Situationen überschritten werden müssen. 

Jeder Mensch hat Motive, die depriviert, also nicht befriedigt sind. Der eine mehr, der andere weniger. Es ist auch hilfreich, seine eigenen Motive, die befriedigt werden wollen, zu kennen. Führungskräfte, je nach hierarchischer Position und Unternehmenskultur, bekommen nur noch selten ihre Schwachpunkte gespiegelt. Um diesen auf die Spur zu kommen, braucht es in diesem Fall einen anderen Sparringspartner – wie einen externen Coach. 

Jeder Mensch ist individuell. Motive sind unterschiedlich ausgeprägt. Diese herauszufinden, ist eine große Herausforderung für Führungskräfte. Aus der Erfahrung wissen wir, dass jeder Mensch mindestens ein bis zwei unbefriedigte Motive aufweist – in der Ausprägung kann es große Spannbreiten geben. Als Führungskraft gilt es, die Motive des Gegenübers zu erkennen und sich komplementär dazu zu verhalten. Das verbessert die Arbeitsbeziehung sehr und damit auch die Arbeitsergebnisse. Also eine Win-Win-Situation für beide Seiten. Es lohnt sich!

Mehr zum Thema im Podcast „Finde den Kern“.