Normalo werden: Jürgen Klopp braucht eine neue Identität

Jürgen Klopp hört auf. Er will ab Sommer nicht mehr länger Trainer des FC Liverpool sein. Jetzt muss ich mich outen: Ich habe weder von Fußball großartig Ahnung noch kenne ich Jürgen Klopp persönlich. Aber selbst ich habe diese Nachricht aufmerksam verfolgt. Weil eine Person des öffentlichen Lebens eine sehr bewusste Entscheidung getroffen hat. Bemerkenswert finde ich die Begründung: weil ihm die Energie ausgehe.

Psychologisch einordnen lässt sich das mit einer Fürsorge für sich selbst, sofern das Motiv ehrlich ist. Oft haben solche Aussagen strategische Hintergründe – um an einen anderen Job zu kommen. Aber das kann ich nicht beurteilen. 

Fakt ist: Er hört auf. Ist es auch sein Karriereende? Das sehe ich nicht. Denn ein bewusstes Aufhören ist nicht gleichzusetzen mit dem Ende der Karriere. Schon mal gar nicht bei Führungskräften, die einen starkes Streben an Autonomie haben. So schätze ich Jürgen Klopp auch ein: Er trifft die Entscheidung für sich selbst. Es könnte so etwas wie ein Befreiungsschlag sein. Umso freier wird der Mensch, wenn er eine Entscheidung selbst treffen kann. Wird ihm diese Entscheidung durch äußere Umstände abgenommen, kann das Ende der Karriere schnell zur psychischen Belastung werden. Der klassische Ruhestand ist hierfür ein gutes Beispiel.

Ich sehe das selbst beim Coaching von Spitzensportlern. Wer seine Karriere beendet, dem fehlen Strukturen im Alltag: sieben Tage lang Training, Training, Training, jede Woche, über Jahre hinweg. Spitzensportler sind nicht gewohnt, ihren Tag selbst zu gestalten. Ändert sich das, fehlt die Sicherheit, die Struktur. 

Ich habe gerade einen Sportler vor dem geistigen Auge. Ihm hatte ich empfohlen, Tagespläne nach dem Karriereende für sich zu schreiben. Hört sich einfach an – ist es auch. Und sehr hilfreich. Er fixierte schriftlich: wann frühstückt er, wann macht er Sport und wann arbeitet er am Laptop, wann Unizeiten etc. Pläne zu schreiben gibt eine Struktur zurück.

Was ich außerdem in meinen Coachings wahrnehme: Leistungssportler und Führungskräfte kämpfen mit dem bewussten Aufhören oder dem Karriereende auch mit dem Wegfall ihrer Identität. Sie verlieren Status, Aufmerksamkeit, und das Team um sich herum. Sie werden zu Normalos. Und brauchen damit eine neue Identität. Viele verwechseln Person und Position.

Wer nach der Karriere mit all diesen Herausforderungen allein gelassen wird, kann schnell in ein tiefes Loch fallen. 

Meine Empfehlungen für Leistungssportler und Führungskräfte sind deshalb:

  1. Mach Dir rechtzeitig Gedanken über das Ende Deiner Karriere: am besten schon Jahre im Voraus. Ich rate Sportlern zu anderthalb bis zwei Jahren im Voraus. Führungskräfte sollten noch früher anfangen.
  1. Setz Dich bewusst mit Dir selbst auseinander: Wie möchtest Du Deine freie Zeit gestalten? Was möchtest Du machen, um Deinen Alltag zu füllen? Es erfordert Zeit und Selbstreflexion, eine neue Identität zu finden. Dieser Prozess kann auch in Begleitung im Rahmen eines Coachings erfolgen. 
  1. Gestalte den Zeitpunkt möglichst selbst und bewusst: dann kann man den Übergang sehr bewusst gestalten und hat quasi die Fäden in der Hand. Das verhindert auch das tiefe Loch, weil man sein Autonomiestreben mit beachtet hat und die Herausforderung bewusst angeht.

Ich bin gespannt, wie Jürgen Klopp das für sich selbst gestalten wird.

Mehr zum Thema findet Ihr in der neuen Folge meines Podcasts „Finde den Kern“ – überall dort, wo es Podcasts gibt.