Als der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, Thomas Bach, Ende März die Verschiebung der olympischen Spiele verkündet, brechen Träume und Lebensplanungen bei vielen Spitzensportlern schlagartig zusammen. Es ist die Zeit, in der mein Telefon häufiger klingelt als sonst – ich darf seit vielen Jahren das Team Deutschlandachter als Sportpsychologin begleiten.
In den vier Jahren, die ein Olympiazyklus dauert, steigt die psychische Belastung der Athleten kontinuierlich an. Ist die letzte WM im August ausgetragen, folgt ab Oktober normalerweise das Olympische Jahr. Ab dann geht es in die heiße Phase mit Trainingslagern und internen Wettkämpfen. Fünf nervenaufreibende Monate also, bis die Mannschaften in den Booten feststehen. Da spielen viele Kriterien eine Rolle – Ängste, Unsicherheiten, Enttäuschungen und Hoffnungen, die dann auch zerplatzen können. Das Ganze gepaart mit Training außerhalb Deutschlands, weit weg von Familie und sozialem Umfeld.
Dann der Moment, der alles ins Schleudern brachte – mitten hinein in die Endspurt-Vorbereitungen auf die Olympischen Spiele kam Covid-19. Und damit die Verschiebung der Sommerspiele in Tokio. Was bedeutet das für den Sportler? Einfach gesagt, von Hundert auf Null. Die berufliche wie private Planung und Vorstellung – hinfällig von jetzt auf gleich, ohne jede Vorwarnung. Das belastende Gefühl, in der Luft zu hängen, nicht zu wissen, ob und wie es weitergeht. Über die psychischen, physischen und finanziellen Folgen wird in der Öffentlichkeit wenig diskutiert.
Das Training läuft in der Regel weiter, natürlich auch mehrmals am Tag. Allerdings ohne Perspektive und ohne sich messen zu können. Sich immer neu an die Grenzen zu bringen und nicht genau zu wissen, wofür eigentlich – wenig förderlich für die Motivation. Wer sich für einen Weg als Leistungssportler entscheidet, der will den Vergleich, der braucht den Wettkampf wie die Luft zum Atmen. Die Belastung tragen gerade nicht nur Sportler und Trainer. Auch PartnerInnen, Familie, Freunde leiden mit. Alles Private muss zurückstehen, im Olympischen Jahr ist wenig Raum für anderes als die Wettkämpfe. Nun zieht sich diese Zeit in die doppelte Länge. Unklar bleibt, ob 2021 ein Punkt gesetzt und versucht werden kann, die Ernte des jahrelangen Trainings einzufahren. Für Beziehungen keine leichte Zeit.
Ein erstes Aufatmen gab es in der vergangenen Woche, als entschieden wurde, dass die Europameisterschaft im Oktober für die Ruderer möglich ist. Endlich gibt es wieder ein Ziel und die Aussicht auf den internationalen Vergleich. Dennoch – für die Athleten, die die Chance gesehen haben, in diesem Herbst bei der Mannschaftsbildung berücksichtigt zu werden, heißt es jetzt, ein weiteres Jahr zu warten, zu hoffen und zu trainieren. Das fordert viel ab. Ich habe großen Respekt vor jedem Einzelnen, natürlich nicht erst seit Corona, aber jetzt erst recht. Und bin erwartungsvoll, dass das Team Deutschlandachter auch diese besondere Herausforderung meistert.