Mein ganz persönlicher Widerstand, zweiter Teil

von Ellen Lübke-Meier

Bei einem Glas Wein sagte mir der beste Freund meines Mannes, ich sei der am wenigsten missgünstige Mensch, den er kenne. Was für ein schönes Kompliment! Allerdings, das muss ich zugeben, es stimmt nicht ganz …

Vor kurzem besuchte ich wiederum eine meiner engsten Freundinnen, Nadine, die in Kapstadt lebt. In einer Wahnsinnsstadt also, aber darum geht es hier nicht. Auch nicht um Charles, der als Putzhilfe dort jeden Donnerstag ins Haus kommt und den ganzen Haushalt schmeißt. Nein, es geht um Nadines Gabe, einfach mal etwas liegen lassen zu können – wenn es sein muss, eine ganze Woche lang! Darauf bin ich tatsächlich neidisch. 

Es gibt Tage, da stolpere ich zuhause über jeden Krümel auf der Arbeitsplatte, rege mich auf, wenn meine Jungs die Dusche nicht trockenwischen, wenn Teller auf und nicht in die Spülmaschine gestellt werden. Wie bei der Arbeit darf sich auch hier nichts anstauen und muss sofort (!) erledigt werden. Ich leide dann, und die ganze Familie gleich mit. Ohne Theater geht das nicht ab.

Diese kleine Vorgeschichte braucht es. Denn mit dem Thema, das Gefühl zu haben, dass immer alles perfekt sein muss, machte ich meinen zweiten Selbstversuch bei AC Campus. Ein intensives Gespräch mit Dr. Annelen Collatz, ähnlich wie beim letzten Mal. Und wieder ihre Frage, was ich davon habe, ja, sprechen wir’s aus, so zwanghaft unterwegs zu sein. Bis ich Antworten finde, dauert es gefühlt einige Minuten: Das Leben im Griff haben vielleicht, die Kontrolle behalten?!

Interessant, jetzt kommt die Psychologin an ihre zeitlichen Grenzen. Das sei ein Thema, sagt sie, das tiefer liege und nicht in nur einer Sitzung aufgelöst werden könne. Ich gebe ihr innerlich recht – wahrscheinlich hat es ganz viel mit längst vergangenen Zeiten zu tun. Sie könne mich aber dabei unterstützen, insgesamt entspannter durchs Leben zu gehen, sagt sie. Was folgt, ist wieder eine leichte Trance. Ich beantworte brav alle Fragen, habe das Gefühl, hellwach zu sein, und mache mich auf zu einer mentalen Reise. Die es mir erlaubt, mich selbst mit einer gesunden Distanz zu sehen. Ganz ehrlich, ich weiß nicht, was passiert ist. Nur so viel: Als ich mich verabschiede, fühle ich mich irgendwie leichter. Dr. Collatz und ich flachsen noch ein bisschen darüber, dass wir demnächst mal zusammen ausgehen möchten und sie ruft mir zu: „Viel Spaß beim Schreiben über das Erlebnis heute!“ Ich stocke kurz, normalerweise hätte ich ihr den Artikel für den nächsten Tag versprochen, und antworte sehr gelassen „Danke, aber lass mir ein bisschen Zeit!“